Blumen für Bauarbeiter, das gab es noch nie in Berlin – jedenfalls nicht von den Fahrradaktivisten und -aktivistinnen von Changing Cities. Die sind in der Hauptstadt eigentlich bekannt für ihre Demonstrationen und Mahnwachen. An diesem Morgen Mitte April stehen sie mit gelben Tulpen vor den Bauarbeitern und bedanken sich für die neue sogenannte Pop-up-Bikelane, die dort gerade in Fahrspurbreite eingerichtet wird. Die Baustellenbarken, die den neuen Radweg markieren, schmücken sie mit bunten Blumen und Ballons.

Für Radfahrerinnen und Radfahrer läuft es zurzeit gut in der Hauptstadt. Berlin hat sich in den vergangenen Wochen zum Vorreiter der pandemiebedingten Verkehrswende entwickelt. Allein in Friedrichshain-Kreuzberg wurden in den vergangenen Wochen rund 15 Kilometer temporäre Radwege markiert, weitere Bezirke sollen folgen. Bereits heute steht fest: Die provisorischen Strecken sollen nach und nach in sichere Radwege umgebaut werden.

Mit ihrer Entscheidung pro Radverkehr haben sich Berlin und die kolumbianische Hauptstadt Bogota in der Krise an die Spitze einer internationalen Bewegung gestellt. Solange Corona noch nicht beherrschbar ist, wollen sie aktive Mobilität mit ausreichend Abstand sicherstellen. Viele Städte – darunter Paris, Budapest, Mailand und Mexiko City – folgen ihrem Beispiel. Einige haben bereits ebenfalls Pop-up-Bikelanes eingerichtet, andere wollen in den kommenden Wochen ein Netz aus temporären Radwegen durch ihre Straßen ziehen. Für viele Entscheiderinnen sind das vorübergehende Lösungen. Aber das kann sich noch ändern.

Beschleunigung für die Verkehrswende

In Berlin und Paris wirkt die Pandemie momentan wie ein Beschleunigungsprogramm der ohnehin geplanten Verkehrswende. Für die grüne Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther hat die Umverteilung des Platzes Priorität. Sie lässt ihre Verwaltung bereits fertig geplante Verbesserungen der Radinfrastruktur mit provisorischen Mitteln vorziehen, um angesichts des deutlich gewachsenen Radverkehrs schnell mehr Platz zu schaffen. "Unser Ziel ist es aber auch, aus diesen vorgezogenen Maßnahmen möglichst überall dauerhafte Anordnungen zu machen und die provisorische Technik durch dauerhafte zu ersetzen", sagt sie.

Andere Städte könnten dem Beispiel folgen, hofft Stefanie Krone, Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). "Wenn eine temporäre Radspur sich in den nächsten Monaten als praxistauglich erweist und der Verkehr vielleicht sogar besser fließt, dann werden Städte sicherlich dazu übergehen, sie dauerhaft zu machen."

Allerdings müssten dafür überhaupt erst Pop-up-Bikelanes eingerichtet werden. In Hamburg, München oder Köln sehen die Verantwortlichen dafür bislang keine Notwendigkeit. Im Gegenteil. Ein Sprecher der Kölner Verkehrsbehörde erklärt, dass der Autoverkehr in seiner Stadt in der Corona-Krise um 50 Prozent gesunken sei und der Radverkehr nur um fünf Prozent gestiegen. Das Angebot an Radwegen auszuweiten, sei deshalb überflüssig. In Hamburg werde das Fahrradnetz ohnehin seit Jahren ausgebaut, erklärte der dortige Sprecher.